Wiener Totengräber

“Wir sind weder depressiv noch alkoholsüchtig”

Wien
01.11.2008 12:00
"Spukmäßig gibt's nichts. Das glauben nur die Leut' immer." Christian Schertler, seit 20 Jahren Totengräber am Wiener Zentralfriedhof, schiebt sein "Dienstfahrzeug", ein Rad mit aufgespannter Schaufel und Besen, den Weg zwischen den Gräbern entlang, während er die Illusionen der Besucher über seinen Beruf zerstört. Der gelernte Rauchfangkehrer ist "aus der Not heraus" zu seinem Job gekommen, wie er sagt. "Man kommt ja gar nicht auf die Idee, Totengräber zu werden. Meine Frau sagt heute noch: 'Dass du das machen kannst.'"

Mittlerweile ist Schertler "Gehilfe" - im Job eine "Alterserscheinung" - und darf als solcher u. a. Gräber öffnen und den Trauerzug begleiten. Zum Gräber schließen seien die "Helfer" da: "Irgendeine Beförderung müssen wir ja haben", schmunzelt er und streicht Oktober-Laub von einem Grabstein. Durchschnittlich zwölf bis 20 Begräbnisse und zwei Exhumierungen habe man pro Tag.

"Irgendwann ist es Alltag"
"Wennst zum ersten Mal eine Leiche siehst - klar ist das unangenehm. Aber dann ist es Alltag", sagt der 42-Jährige. "Horrorvisionen sind die kleinen Särge, die Kinder. Die will keiner beerdigen. Aber das gehört dazu." Ob es ein ungutes Gefühl sei, mit Leichen zu tun zu haben? "Es gibt keinen bei uns, dem nie schlecht geworden ist", gibt er zu. Das liege aber vor allem am Geruch der Toten.

"Ich will nicht wissen, wen oder was ich beerdige. Ungut ist es, wenn ich z. B. ein Alter hör und eine Beziehung herstellen kann. Dann fängt's oben an zu arbeiten - wie lang hast du noch?", meint er und zeigt auf seinen Kopf. Aber gegen das Bild des Totengräbers als "depressiven, alkoholsüchtigen Sandler" verwehrt er sich: "Das ist bei uns niemand. Wenn wir nach der Dusche hier raus gehen, dann sieht keiner, dass wir Totengräber sind."

Kaum Veränderungen
Im Laufe der Zeit habe sich nicht viel verändert: "Wir arbeiten noch immer wie vor 20 Jahren. Gut, zwei Bagger gibt es und die Auflagen sind mehr geworden." Trotz der Maschinen würden aber noch immer etwa 80 Prozent der Gräber von Hand ausgehoben, meint der 42-Jährige und bleibt vor seinem Lieblingsgrab stehen: ein nachempfundener Eingang zu einem Bergwerk, groß und imposant. Sonst mag er "den hinteren Teil" des Friedhofs, dort, wo sich kaum ein Tourist hinverirrt.

Auch schöne Erlebnisse
Eines seiner schönsten Erlebnisse bei der Arbeit - "für mich, nicht für die Angehörigen" - sei das Begräbnis eines 22-jährigen Motorradfahrers gewesen: "Da waren jede Menge Leute, die haben leise Musik gespielt aus dem Radio. Sonst war alles ganz still. Das hast sonst nicht." Ob es einen Unterschied macht, ein Grab für einen Promi zu öffnen oder für Herrn XY? "Gestorben ist der Promi genauso wie der andere."

Über das eigene Begräbnis denkt Schertler nicht nach. "Ich meine, das ist für die Angehörigen. Dem Verstorbenen ist es egal, wo er liegt und wie." An ein Leben nach dem Tod glaubt der 42-Jährige nicht: "Das ist kein Thema für mich. Ich bin kein Christ. Und hat man damit zu tun, dann glaubt man daran noch weniger." Also keine Gespräche mit den Leichen? Lächelnd winkt er ab. "Die Leute erwarten sich Horrorgeschichten. Dabei ist es nicht so aufregend." Sagt er, schwingt sich auf sein Dienstfahrzeug und radelt davon.

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