5-Sterne-Doppel

Calexico & Lambchop in Wien

Musik
22.10.2008 11:33
Dienstagabend war ein guter Abend für Liebhaber US-amerikanischer Fünf-Sterne-Musik, die selbst zu bescheiden ist, sich als solche zu loben: Das Alternative-Country-Kollektiv Lambchop und das Weltenbummler-Ensemble Calexico kreuzten in all ihrer Großartigkeit die Wege in Wien für einen insgesamt mehr als dreieinhalb Stunden dauernden Konzertabend.
(Bild: kmm)

Als sich Calexico gerade geformt hatten, vor etwas mehr als zehn Jahren, da spielte die Band um Joey Burns und John Convertino noch das Vorprogramm von Kurt Wagners Alternative-Country-Kollektiv. Heute stiehlt das sechsköpfige Weltenbummler-Ensemble Lambchop glatt die Show. Die Halle im Wiener Gasometer war nur zur Hälfte voll, als Wagner und Co. mit den Songs der neuen Platte "OH (Ohio)" loslegten und über anderthalb Stunden die erste Hälfte des Konzertabends gestalteten. Lammkotelett als Entrée, mild gewürzt, mit ein paar dazugestreuten Pfefferkörnern, die zwischendurch ein wenig Schärfe ins Spiel brachten, wenn man mitging und draufbiss.

Wenn man aber nicht aufpasst, gehen Lambchops leise, scheinbar nahe am Herzstillstand ruhig dahinplätschernde Songs - bei über zehn Studioalben und einer Handvoll EPs ist die Auswahl ziemlich groß - als bessere folkloristische Fahrstuhlmusik durchs Ohr. Selbst wenn das Metronom schnell tickt und vier Gitarren gleichzeitig gezupft werden, kommt man nicht wirklich in Schwung. Lambchop sitzen, wir nicht - unfair, denkt man sich, als Kurt Wagner auf seinem Hocker zappelt, das Kapperl des ehemaligen Parkettbodenlegers tief in die Stirn gezogen, über Gott und die Welt philosophierend, Liebeserklärungen schmetternd. Gegen Ende gibt's dann was zu sehen - Volker Zander, Calexico-Bassist und einer der beiden Hessen in der Band mit Sitz in Tucson, Arizona, greift sich die Maracas. Zur Feier des Abends - am Mittwoch in Graz spielen Lambchop wieder allein - kommt auch Paul Niehaus auf die Bühne. Den Pedal-Steel-Gott aus Nashville haben sich Calexico vor ein paar Jahren von Lambchop geborgt und seither nur mehr für Studiosessions zurückgeliehen. Die große Austro-Fanbase der Country-Querköpfe aus Nashville zockt bis zur letzten Ballade mit. Am Schluss zieht Wagner den Hut: "Thank you!"

Ein kurzer Rundblick zur Umbaupause vor Calexico offenbart dann: Ja, jetzt sind alle da. Stehplätze voll, die Ränge auch einigermaßen besetzt. Eine gut gefüllte Halle blickt auf das Bühnenbild, Filmprojektionen und zwischendurch ein paar Zeichnungen von Calexico-Cover-Artist Victor Gastelum. Kein Wunder, mit ihrem neuen Album "Carried To Dust" servieren Calexico wieder ihren berühmten Eintopf aus "Desert Rock", Mariachi-Musik, Country, Folk, Rock 'n' Roll und ein paar Dutzend weiteren Musiken aus aller Welt, den man beim letzten Longplayer "Garden Ruin" vermisst hatte, und der sie jetzt wieder zu einem unvergleichlichen Erlebnis macht. Doch ausgerechnet mit "Garden Ruin" geht's los: "Bisbee Blue", abgespeckt auf Klassische Gitarre und Pedal Steel; kurz darauf "Roka" in einer flockig-flüssigen Version, die die Ruhe vor dem Sturm beendet. Trompeten branden auf, brechen wie eine riesige Welle über das bislang von den zarten Gitarrenklängen der Lämmer verhätschelte Publikum herein. Man sieht die Gänsehaut-Schauer durch die Reihen laufen, Ärmel werden hochgekrempelt.

Wahrscheinlich mehr noch als Lambchop können sich Calexico in Wien darauf verlassen, dass man ihre Songs kennt. Im Publikum mit geschätztem Durchschnittsalter an die dreißig finden sich sogar Menschen mit "Giant Sand"-T-Shirts. Jene Band, in der sich Sänger/Gitarrist Joey Burns und Drummer John Convertino trafen. "Across The Wire", die schwunghafte Parabel über all die Hoffnungen und Träume, die an der "gläsernen Grenze" zwischen den USA und Mexiko beginnen oder auch enden, wird nun begeistert empfangen, wie ein kühler Regenschauer in einer Sandwüste. Schnell kommen sie zu "Carried To Dust", das neue Album, dem Calexico in ihrem anderthalbstündigen Konzert den Großteil der Zeit widmen. Das Spannende an ihren Shows ist stets die Frage, wie nah sich die Live-Versionen der Songs an den Studiofassungen bewegen. In der Regel tun sie's kaum - und so ist es auch an diesem Abend: "Bend In The Road", das musikalische Standbild einer windigen Wüstenstraße, kommt laut und angriffslustig als Gitarren-Breitwand. Trompeter Jacob Valenzuela trägt "Inspiración" vor, grandios auch ohne Gastsängerin Amparo Sanchez. Bei der Single "Two Silver Trees" (siehe Video oben) ist man dann leider ein bisschen zu hastig, Convertinos Besen werden unfreiwillig zu Fegern, aber Multitalent Martin Wenk rettet die markante Melodie mit beherztem Einsatz am Vibraphon - eines von Dutzenden Instrumente, die der Deutsche spielt. Er ist die musikalische Manifestation von Calexicos Motto, "Musik kennt keine Grenzen". Joey Burns verleiht dann "Man Made Lake" mit ungewohnt starker Stimme Nachdruck. Beim Singen ist das Mastermind der Band, das bei den Tour-only Alben oftmals alle Melodieinstrumente allein bedient, an diesem Abend nicht zu (s)toppen. Burns mag die neuen Songs besonders gerne, auch weil sie mitunter sehr persönlich sind. Bei "The News About William" lässt er etwa keinen Applaus zu, sondern spielt sofort mit "Writer's Minor Holiday" weiter. William war ein Freund/Bekannter von Joey Burns, der sich das Leben nahm. "Have you heard the news about William?", so bekam das Calexico-Mastermind auf einer Party die "Neuigkeit" über Will berichtet. Wohl aus Respekt lässt er sich in diesem Moment keinen Jubel schenken.

Doch zurück ins Gasometer: Es kommt, wie's kommen muss - am Ende nimmt das Mariachi-Fieber überhand. "Minas De Cobre" fegt wie eine übernatürliche Tänzerin mit ohrenbetäubend laut klackenden Absätzen durch die Halle, gefolgt von einer Horde Reiter und einer Staubwolke. "Sunken Waltz" macht aus der Spaghetti-Western-Szene kurzzeitig eine gemütliche Lagerfeuerrunde, bevor eine ekstatische Version von "Not Even Stevie Nicks..." das Blut wieder in Wallung bringt. Plötzlich sind auf einmal ein Dutzend Leute auf der Bühne - hey, Lambchop! Was dann kommt, hört sich nicht bloß nur schräg an, sondern war es auch: "Satisfaction", tatsächlich jenes von den Rolling Stones, mitsamt einem mindestens vier Flaschen Mineralwasser verschüttenden Kurt Wagner, der aus Sätzen wie "Because he doesn't smoke the same cigarettes as me" beinahe angsteinflößende Drohungen macht. Ungestüm und völlig von der Rolle bricht er Martin Wenks Mikrofonstativ bei seinem Auftritt fast den Hals. Es folgt "Victor Jara's Hands", der "spanglische" Opener von "Carried To Dust" und zum Finale eine überlange Version von "Guero Canelo". Mit dem "Party-Song" endet jedes zweite Calexico-Konzert. Wundgeklatscht, aber nicht im Traum ans Aufgeben denkend, treibt das Publikum die Herren noch einmal auf die Bühne. Gedankt wird mit "Red Blooms" in einer extra langsamen und geräuschhaltigen Version. Burns sagt es mit "Let me send you home with a beautiful lullaby" an - und bleibt dabei. Fans fühlen sich durch einen wunderbaren Konzertabend einmal mehr bestätigt und schweben mit einem unerklärlichen Hochgefühl nach Hause. Zufällig Hereingeschneite werden am Heimweg darüber rätseln, wie es denn dazu kam. Willkommen in der "Casa de Calexico" - it's magic.

Von Christoph Andert
Fotos: Andreas Graf

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