"Tag der Wahrheit"

Wahlkampf-Finale im Nationalrat

Österreich
25.09.2008 16:32
Der "Tag der Wahrheit" im Parlament geriet am Mittwoch zu einem 19-stündigen Abstimmungs-Marathon. Dabei ist die umstrittene Mehrwertsteuersenkung auf Lebensmittel gescheitert. Der SPÖ/FPÖ-Antrag wurde mit den Stimmen von ÖVP, BZÖ und Grünen in den Finanzausschuss rückverwiesen, somit also weder angenommen noch abgelehnt. Dafür ging der Antrag durch, die Mehrwertsteuer auf Medikamente von 20 auf zehn Prozent zu senken. Einstimmig verabschiedet wurde auch das Pensionspaket. Von SPÖ, Grünen und FPÖ wurden außerdem kurz nach 23.00 Uhr die Studiengebühren abgeschafft.

Einen ausführlichen Bericht über den Auftakt der Parlamentssitzung mit allen (Wahlkampf-)Reden, der "Dringlichen Anfrage" an Verteidigungsminister Darabos und den einzelnen Debatten davor findest du in der Infobox!

Die SPÖ konnte sich nach der 19-stündigen Sitzung (sie dauerte bis 4.30 Uhr in der Früh) freuen, zumindest zu "vier Fünftel": Denn vier Punkte der "Faymann Five" fanden eine Mehrheit. Einzig die Halbierung der Mehrwertsteuer - die prestigeträchtigste - auf Lebensmittel wurde von ÖVP, BZÖ und Grünen zu Fall gebracht. Dafür wurde das Pflegegeld erhöht, die 13. Familienbeihilfe eingeführt, die Hacklerregelung verlängert und schließlich unter großem Jubel die Studiengebühren abgeschafft. Nur österreichische Studenten, die mehr als zwei Toleranzsemester benötigen und zudem weder einer wenigstens geringfügigen Beschäftigung nachgehen noch krank sind oder Kinderbetreuungsverpflichtungen haben, müssen jetzt noch die Gebühren bezahlen. Den Betrag von 363,36 Euro müssen sonst nur noch Ausländer aus Nicht-EU-Staaten leisten, für diese ist das eine Halbierung des bisherigen Beitrags.

Auch die Zugangsbeschränkungen an den Unis werden reduziert. Sie gelten nur noch in den drei Medizinstudien sowie bei der Psychologie. Die Möglichkeit, bei entsprechendem Studentenzustrom Zugangsbeschränkungen zu verhängen, fällt somit in den Fächern Publizistik, Betriebswirtschaftslehre (BWL), Biologie und Pharmazie. Gleichzeitig sollen die Unis mehr finanzielle Mittel erhalten, um ein größeres Studienplatzangebot vor allem in den Medizin-Studien anbieten zu können. Begleitet wurde der Beschluss von einem lauten Jubelkonzert von der Besuchergalerie und großem Beifall von den Fraktionen von SPÖ, Grünen und FPÖ.

ÖVP protestiert vehement
Erwartungsgemäß lautstarken Protest gab es hingegen von der ÖVP. Wissenschaftssprecherin Beatrix Karl war im höchsten Maß empört über die Beschlüsse. Erstmals in der Geschichte der Zweiten Republik verabschiede sich eine Mehrheit im Nationalrat nachweislich von der Hochschulpolitik und von der Zukunft der jungen Menschen. Dass durch den Mittelverlust für die Unis eine unhaltbare Situation für die Hochschulen entstünde, bestätigten nicht nur die Rektoren sondern alle Experten. Karls Antrag auf Abhaltung einer Volksabstimmung zu den Studiengebühren erntete jedoch keine Zustimmung, sondern wurde vor allem seitens der FPÖ mit Spott quittiert.

Harte Worte fand auch Wissenschaftsminister Hahn, der den gemeinsamen Beschluss von SPÖ, Grünen und FPÖ zuerst als "Schwachsinn" und dann sich selbst korrigierend als eine "nicht geglückte intellektuelle Aktion" bezeichnete. Immerhin hätte sich durch die Einführung der Studiengebühren die durchschnittliche Mindeststudiendauer von 14 auf zwölf Semester reduziert und nicht prüfungsaktive Studenten hätten exmatrikuliert. Er befürchtet, dass betuchtere Eltern ihre Kinder künftig im Ausland studieren lassen werden. Dort werde nämlich die Qualität sehr viel besser sein. "Ich gratuliere ihnen zu so viel sozialer Treffsicherheit", meinte Hahn zynisch zu den Gebühren-Abschaffern.

Ganz anders war die Stimmung bei Josef Broukal, dem Wissenschaftssprecher der SPÖ: "Ich gehe mit einem sehr zufriedenen Gefühl nach Hause". Für Broukal war es der letzte Auftritt im Parlament. Er kandidiert nicht mehr für den Nationalrat.

Pensionspaket einstimmig beschlossen
Beschlossen, und zwar mit den Stimmen aller Parteien, wurde schließlich auch das Pensionspaket mit der außertourlichen Erhöhung der Ruhensbezüge, der Verlängerung der Hacklerregelung sowie der Gewährung von Heizkostenzuschüssen. Der Antrag der ÖVP, der die Hacklerregelung nach 2013 langsam auslaufen lassen wollte, fand hingegen nach insgesamt gut 19 Stunden Debatte keine Mehrheit.

Die Volkspartei befürwortete zwar explizit unter anderem die Anhebung der Renten gemäß dem Pensionistenpreisindex, hatte aber auch diverse Einwände. Letztlich entschloss man sich etwas überraschend doch, dem Gesetzespaket in der Schlussabstimmung seinen Segen zu geben, nachdem sich die ÖVP davor mit diversen Abänderungsanträgen versucht hatte.

Gemäß dem Beschluss bekommen die Pensionisten nun ab November eine Erhöhung nach dem Pensionistenpreisindex von 3,4 Prozent. Dieser Wert gilt bis zu einer Pensionshöhe von 2.412 Euro, darüber gibt es einen Fixbetrag von 82 Euro. Dieser Deckel für die prozentuelle Erhöhung wurde von 55 auf 60 Prozent der Höchstbeitragsgrundlage angehoben.

Zusätzlich erhalten die Pensionisten eine gestaffelte Einmalzahlung. Diese beträgt bis zur Ausgleichszulage von 747 Euro 20 Prozent der Leistung. Bei darüber liegenden Einkommen gibt es bis zu 1.000 Euro eine Einmalzahlung von 150 Euro. Mit steigendem Einkommen wird dieser Betrag immer geringer, bis 2.000 Euro sinkt er linear auf 50 Euro ab. Bis zur ASVG-Höchstpension von 2.800 Euro bleibt es dann bei diesen 50 Euro, darüber gibt es keine Einmalzahlung mehr. Wegfallen wird künftig die Wartefrist auf die erste Pensionsanpassung. Bisher galt, dass die Erhöhung erstmals im übernächsten Jahr nach dem Pensionsantritt vollzogen wird. Diese Frist gibt es nun nicht mehr.

Hacklerregelung bis 2013 verlängert
Schließlich bekommt noch die Hacklerregelung drei Jahre drauf, wird also bis 2013 gelten. Damit kann man bis dahin als Frau mit 55 und als Mann mit 60 in den Ruhestand treten, wenn 40 bzw. 45 Versicherungsjahre vorliegen. Bisher hätte diese Regelung 2010 auslaufen sollen. Zusätzlich werden Zeiten des Krankengeldbezugs künftig als Beitragszeiten anerkannt.

Der Heizkostenzuschuss wird von Oktober bis April für Bezieher von Ausgleichszulagen gewährt und beträgt gesamt 210 Euro. Pro Monat werden 30 Euro ausgeschüttet.

Mehrwertsteuersenkung gescheitert
Zuvor hatte das BZÖ hat mit dem Nein zur Halbierung der Mehrwertsteuersenkung auf Lebensmittel zumindest einen roten Wunsch zu Fall gebracht. SPÖ-Klubchef Josef Cap zeigte sich empört über die ÖVP, die offenbar der Meinung sei, dass im Handel lauter Gesetzesbrecher säßen und dass eine christlich-soziale Partei froh sei, wenn die Menschen nicht von der Teuerung entlastet würden. Dass das BZÖ sich der Volkspartei angeschlossen hat, gibt für ihn Anlass für allerlei Vermutungen. So werde anzusehen sein, ob die "notorisch erfolglose" Kärntner ÖVP vielleicht BZÖ-Obmann Jörg Haider im kommenden Jahr zum Landeshauptmann wählen werde.

Strache "belustigt" über "EU-treues" BZÖ
FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache empfand es als "sehr belustigend", dass sich das BZÖ plötzlich von den Empfehlungen eines EU-Kommissars leiten lasse. Damit habe es seine konsequente Linie weiter verfolgt, in der Öffentlichkeit etwas anderes zu behaupten, als dann letztendlich im Nationalrat getan werde. Tausende seien damit vor den Kopf gestoßen worden, meinte Strache. Das BZÖ habe nach dem Motto "wenn ich nicht mehr weiter weiß, schick ich es zurück an den Arbeitskreis bzw. an den Ausschuss" gehandelt.

Molterer: "Rot-blaue Scheinlösung für ein echtes Problem"
Vizekanzler Wilhelm Molterer zeigte sich dafür über die SPÖ empört - deshalb nämlich, weil die Sozialdemokraten nun einen EU-Kommissar zum Sündenbock dafür machen wollten, dass eine von der SPÖ geplante Maßnahme dem europäischen Recht widerspreche. Grünen Bundessprecher Alexander Van der Bellen zeigte sich erfreut, dass die "rot-blaue Scheinlösung für ein echtes Problem" nun nicht komme. Dass die kleinen und mittleren Einkommen nicht steuerlich entlastet werden, sieht er auch in der Verantwortung der SPÖ, habe diese doch kein bisschen Gehirnschmalz darauf verwendet, ein Konzept zu erarbeiten.

Erhöhung des Pflegegeldes einstimmig beschlossen
Bereits zu Beginn des Abstimmungs-Marathons wurde die Erhöhung des Bundespflegegeldes einstimmig beschlossen. Wirksam wird die Erhöhung mit 1. Jänner 2009. Kritik an der Gesetzesvorlage kam bei der Diskussion von Grünen, BZÖ und FPÖ. Die Grünen forderten eine lineare Anhebung des Pflegegeldes um fünf Prozent, unabhängig von der Pflegestufe. Die FPÖ kritisierte, dass das Pflegegeld seit zehn Jahren nicht mehr die Pflegegeldbezieher bisher hatten hinnehmen müssen. Völlig unverständlich ist für sie, dass die niedrigeren Pflegestufen weniger Erhöhung bekommen sollen als Bezieher in höheren Pflegestufen. Das sei "unfair und unsozial".

BZÖ-Antrag zu Senkung der AK-Umlage abgelehnt
Der vom BZÖ eingebrachte Antrag für eine Senkung der Arbeitskammer-Umlage ist am Mittwochabend hingegen abgelehnt worden. Bei der Abstimmung waren nur die BZÖ-Abgeordneten dafür. Obwohl er beim Antrag nicht mitstimmte, signalisierte ÖAAB-Obman Fritz Neugebauer (V) durchaus Sympathie für das Anliegen des BZÖ. Er erklärte bei der Diskussion, er halte die Debatte rund um Einsparungspotenzial bei der AK durchaus für legitim. Er sei jedoch nicht dafür in diesem Fall per Gesetz einzugreifen, sprach sich aber für eine merkbare und nachhaltige Senkung aus.

Keine verpflichtenden EU-Volksabstimmungen 
EU-Volksabstimmungen in Österreich werden nicht verpflichtend. Der Nationalrat hat dem entsprechenden FPÖ-Antrag auf Verfassungsänderung die notwendige Zweidrittel-Mehrheit verweigert. Eine relative Mehrheit gab es allerdings dank der Stimmen von SPÖ, Freiheitlichen und BZÖ. ÖVP und Grüne lehnten das Vorhaben vehement ab. VP-Klubchef Wolfgang Schüssel forderte die SPÖ auf, zu einem vernünftigen Dialog pro Europa zurückzukehren. Der Antrag der FPÖ verlangte eine Verfassungsänderung, wonach Vertragsänderungen in der EU, die Grundlagen der Union wesentlich ändern, in Österreich durch eine Volksabstimmung entschieden werden müssen.

U-Ausschuss zu den Akten gelegt
Der Untersuchungsausschuss - für ihn gab es auch einen Antrag - ist zu den Ministerien-Affären ist zu den Akten gelegt worden. Allerdings nicht auf immer, wenn es nach Grünen und FPÖ geht. Der Grüne Sicherheitssprecher Peter Pilz forderte eine sofortige Wiederaufnahme in der kommenden Legislaturperiode, seien doch noch viele Fragen offen, etwa die Causa Kampusch, die "politischen Säuberungen" im Innenministerium und Fragen um das Büro für interne Angelegenheiten.

Auch FPÖ-Justizsprecher Peter Fichtenbauer, der das Gremium geleitet hatte, ist durchaus bereit, die Sache wieder aufzunehmen. Die Freiheitlichen hätten eine sehr freundliche Haltung zur Erneuerung des Ausschusses "zumindest in einigen harten Kernen". Die SPÖ legte sich in dieser Frage nicht fest, zeigte sich aber über die Ergebnisse des Ausschusses erfreut. Der Abgeordnete Johann Maier meinte, es handle sich um einen der erfolgreichsten U-Ausschüsse der Zweiten Republik.Ganz anderer Meinung war VP-Fraktionsführer Helmut Kukacka. Er beklagte, dass das einzige Ziel des Gremiums gewesen sei, die ÖVP schlecht zu machen. Damit sei auch Zwietracht in die Große Koalition gebracht worden. BZÖ-Klubobmann Peter Westenthaler bemängelte, dass der Ausschuss nie aus den Startlöchern gekommen sei.

Vignetten-Erhöhung erst 2009
Fixiert wurde wiederum, dass die nächste Anpassung der Autobahn-Vignette erst im kommenden Jahr erfolgt. Außer den Grünen stimmten dieser Aufschiebung alle Fraktionen im Nationalrat zu. Eigentlich wäre eine automatische Valorisierung schon diesen Dezember vorgesehen gewesen. Weiters verabschiedet wurde, dass der Termin für die Valorisierung der Tarife der fahrleistungsabhängigen Maut (Lkw-Maut) jeweils vom 1. Mai auf den 1. Jänner geändert wird.

Unverbindlich debattiert wurden mehrere Entschließungsanträge zur Verkehrspolitik. Die ÖVP forderte die Etablierung eines Österreich-Tickets, das für alle öffentlichen Verkehrsmittel im Land gültig sein und 1.490 Euro kosten soll. Die Grünen verlangten unter anderem eine Milliarde Euro (200 Millionen pro Jahr) zusätzlich vom Bund für einen "Qualitätsschub bei Bahn und Nahverkehr", einen "Masterplan Öffentlicher Verkehr" und Freifahrt für Kinder, Schüler und Lehrlinge sowie Studenten.

Anti-Korruptionsregeln für Beamte bleiben
Die Anti-Korruptionsregelungen für öffentlich Bedienstete bleiben. Der Antrag der ÖVP auf eine Lockerung der Bestimmungen fand als 27. und letzter Tagesordnungspunkt im Nationalrat keine Mehrheit unter den Abgeordneten. "Wer lediglich gelegentlich einen gesellschaftlich anerkannten Vorteil annimmt, der offenkundig nicht geeignet ist, die Amtsführung zu beeinflussen", sollte dies ohne Buße machen können, hatte die ÖVP verlangt. Straffrei bleiben sollte demnach auch "die Annahme von Vorteilen im Zusammenhang mit kulturellen, sportlichen, sozialen oder wissenschaftlichen Veranstaltungen", sofern "dieser Vorteil nicht für die pflichtwidrige Vornahme oder Unterlassung eines Amtsgeschäftes gewährt wird".

Zahlreiche Abgeordnete hatten letzten Arbeitstag
Vom Hohen Haus verabschiedet hat sich in der Debatte der längst dienende Abgeordnete des Nationalrats. Rudolf Parnigoni, Sicherheitssprecher der SPÖ und deren Fraktionsführer im U-Ausschuss, gehörte dem Parlament seit dem Jahr 1983 an. Ebenfalls der letzte Tag im Hohen Haus ist es für eine ganze Gruppe anderer bekannter Abgeordneter. Bei der SPÖ ist es unter anderem für Bildungssprecher Erwin Niederwieser und Ex-Zentralsekretär Peter Marizzi der Abschluss einer langen Parlamentskarriere. Auf Seiten der ÖVP verabschieden sich beispielsweise Ex-Generalsekretär Kukacka, der frühere Staatssekretär Franz Morak und Wehrsprecher Walter Murauer. Bei den Grünen nehmen Seniorensprecherin Sabine Mandak und Behindertensprecherin Theresia Haidlmayr Abschied.

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