Aufgedeckt

Protokoll beweist Manipulation bei Kriminalstatistik

Österreich
18.09.2008 20:34
Ein bezeichnendes Bild auf die Erstellung der Kriminalitäts-Statistik im Innenministerium wirft jetzt ein bislang geheimes Sitzungsprotokoll des früheren Leiters des Bundeskriminalamtes, Herwig Haidinger. In dieser Gesprächsaufzeichnung ist unverblümt die Rede von „Manipulation“ und „Auslegungsspielraum“. Ein Beispiel: Ein groß angelegter Betrug mit 46.000 Delikten sollte plötzlich nur mehr als ein einziger Fall zählen...

Hinter den dicken Mauern des Innenministeriums in der Wiener Herrengasse kam am Montag, dem 18. Oktober 2004, um neun Uhr in der Früh eine hochrangige Runde zusammen. Der Kabinettschef des Ministers, dessen Stellvertreter, einem dem Minister vertrauter Major, ein Hauptmann (beide mittlerweile in höchsten Polizeifunktionen) sowie der damalige Leiter des Bundeskriminalamtes, Herwig Haidinger.

Dieser fertigte noch an diesem Tag ein Gedächtnisprotokoll über die ominöse Sitzung an, ein Protokoll, das nunmehr der „Krone“-Redaktion vorliegt. Ein brisantes dreiseitiges Papier, von dessen Existenz man im Büro von Innenministerin Maria Fekter nichts wissen möchte: „Dieses Protokoll ist nicht bekannt.“

"Erlasswidrige Vorgangsweise"
Bemerkenswert. Denn Thema der protokollierten Sitzung war ein „Großbetrugsfall des Kriminalamtes der Bundespolizeidirektion Wien und die Weiterentwicklung des Bundeskriminalamtes“: Penibel führt der damalige Bundeskriminalamtschef Haidinger auf, wie ein groß angelegter Betrug mit 46.000 (!) Delikten in der Statistik zu einem einzigen Fall werden sollte. Haidinger sagte in dieser Sitzung laut dem Papier: „Diese Vorgangsweise durch das Kriminalamt Wien sehe ich als erlasswidrig an.“

Darauf wird der stellvertretende Kabinettschef Mag. G. (Name der Redaktion bekannt) mit der Zurechtweisung zitiert, dass es „einen Auslegungsspielraum“ gebe, und dieser „könne eben zu einem anderen Ergebnis führen“. In dem offenbar zunehmend hitziger werdenden Gespräch erklärt dann BKA-Chef Haidinger, dass „es einen solchen Auslegungsspielraum eben nicht gibt“ und dass er sich weigere, „diese Vorgangsweise des Kriminalamtes Wien zu goutieren“. Haidinger kommt nach Durchsicht der Unterlagen zu dem Ergebnis, dass „das Kriminalamt diesen Fall falsch gespeichert hat“.

Pilz: „Andersdenkende Polizisten werden verfolgt“
Da greift auch der Kabinettschef des Innenministers, Mag. I. (Name der Redaktion bekannt), in die Debatte ein und erklärt laut Protokoll, dass es eine eindeutige Vorgabe des Herrn Bundesministers in diesem Fall geben würde. Haidinger weist das zurück, weil das „eine unzulässige Manipulation“ der Kriminalitätsstatistik sei. Peter Pilz von den Grünen stellt nun die alarmierende Frage, wie häufig diese Vorgangsweise wohl noch vorgekommen sei, und kommt zu dem Schluss, dass „statt der Kriminellen politisch andersdenkende Polizisten verfolgt werden“. So etwa der Wiener Kripo-Chef Roland Frühwirth, der – wie am Mittwoch bekannt wurde (siehe Infobox) – wegen eines kritischen Zeitschriftenkommentars suspendiert wurde.

***

Dass mit der Kriminalitätsstatistik etwas nicht stimmen kann, haben viele schon länger vermutet. Denn in den vergangenen Jahren haben Zehntausende Österreicher selbst erfahren müssen, dass es um die Sicherheit hierzulande nicht mehr so gut bestellt ist. Und die Jubelmeldungen des Innenministeriums haben das Misstrauen nur verstärkt. Seit einigen Jahren wird uns von den jeweiligen Ministern oder Ministerinnen erklärt, „die Zahl der Straftaten habe sich im Vergleich zum Vorjahr wieder verringert“. Wie dieser unglaubliche Erfolg bei immer weniger Polizisten, aber immer mehr importierter Bandenkriminalität möglich sein kann, mochte niemanden einleuchten. Lediglich die Statistiker brachten dieses verblüffende Kunststück zusammen. Nun verhält es sich bei diesen Statistiken wohl nicht gänzlich unähnlich jener gerade kursierenden Wahlumfragen, für die der ÖVP-Politiker Andreas Khol kürzlich das geflügelte Wort bemühte, man solle keiner trauen, die man nicht selber gefälscht habe.  Das schmutzige Wort von Fälschung muss im konkreten Fall nicht bemüht werden. Die feinen Beamten reden da lieber von „Auslegungsspielraum“...

Von Claus Pándi, KronenZeitung

Bundeskriminalamt reagiert auf „Krone“-Bericht
Das Bundeskriminalamt hat am Donnerstag auf den „Krone“-Bericht reagiert und dementiert Manipulationen an der Statistik. Das Geheimprotokoll wurde dabei nicht angesprochen. In der Aussendung (kompletter Text in der Infobox) heißt es unter anderem:

„In der österreichischen Kriminalstatistik werden die bei der Polizei angezeigten gerichtlich strafbaren Handlungen erfasst und monatlich ausgewiesen. Alle gerichtlich strafbaren Handlungen, welche bei der Strafjustiz zur Anzeige gebracht werden, werden spätestens bei Anzeigeerstattung in die Kriminalstatistik gespeichert. Seit 01.02.2000 ist die Kriminalstatistik auf ein EDV-Onlinesystem umgestellt. Vorher wurde von der Polizei eine sogenannte „Stricherlliste“ geführt. Die Speicherung erfolgt nach den Richtlinien, die bereits vor der Umstellung auf EDV gegolten haben. Diese Umstellung hatte keine inhaltlichen Auswirkungen, sondern lediglich qualitative. Das EDV-System enthält Plausibilitätskontrollen und  Mussfelder, wodurch Fehlspeicherungen erkannt und weitgehend ausgeschlossen werden können. Beim in der heutigen Ausgabe der Tageszeitung „Neue Kronen Zeitung“ angesprochenen Fall handelt es sich um einen Betrugsfall, bei dem über 40.000 Personen auf ein Zeitungsinserat einen geringen Geldbetrag auf ein Konto bezahlt haben. Die  versprochene Gegenleistung wurde nie erbracht. Hier wurden schlussendlich nicht über 40.000 Einzeldelikte gespeichert, sondern eine Serie, da der Täter eine Tathandlung (das Schalten des Zeitungsinserates) gesetzt hat.“

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