14-facher Mord

90-jähriger Nazi-Leutnant in München vor Gericht

Ausland
15.09.2008 15:22
Vor dem Münchner Schwurgericht hat am Montag einer der wohl letzten Prozesse um Kriegsverbrechen der deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg begonnen: Ein ehemaliger Kompanieführer des Gebirgspionier-Bataillons 818 wird des Mordes in 14 Fällen beschuldigt, er soll ein Massaker in der Toskana im Juni 1944 angeordnet haben. Der Mann ist 90 Jahre alt und hat am ersten von voraussichtlich elf Verhandlungstagen jegliche Verantwortung von sich gewiesen.

Der Angeklagte bestreitet, als den Gegenschlag zur Vergeltung eines Partisanen-Überfalls in der Toskana geplant zu haben, sagte sein Verteidiger Christian Stünkel am Montag. Der Pensionist wird des Mordes in 14 Fällen beschuldigt. Er soll die Erschießung von vier Zivilisten und die Sprengung eines Hauses befohlen haben, in dem zehn Menschen ums Leben kamen. Eine solche Tat "wäre mit Sicherheit durch die Gerichtsbarkeit der Deutschen Wehrmacht verfolgt und geahndet worden", sagte der Anwalt unter dem Hohngelächter von Zuhörern im voll besetzten Saal.

Neonazis und Nazijäger als Zuseher
Vor Verhandlungsbeginn hatten Mitglieder eines Arbeitskreises "Angreifbare Traditionspflege" auf Flugblättern Anklage auch gegen alle anderen in Italien wegen Kriegsverbrechen zu lebenslanger Haft verurteilten deutschen Ex-Soldaten gefordert. Der Angeklagte ist vor zwei Jahren in Abwesenheit von einem italienischen Gericht zu lebenslangem Freiheitsentzug verurteilt worden. Erst durch das damalige Rechtshilfeersuchen sei die Münchner Staatsanwaltschaft 2004 auf den Fall aufmerksam geworden, berichtet Anklagevertreter Hans-Joachim Lutz am Rande der Verhandlung. Anfang dieses Jahres wurde der ehemalige Kompanieführer angeklagt. Der Arbeitskreis will den Prozess ständig beobachten. Auch eine Reihe von Neonazis interessiert sich für das Verfahren.

Angeklagter wird per Videoübertragung gehört
Laut Anklage waren am 26. Juni 1944 zwei Pioniere des Bataillons 818 in einem Hinterhalt von Partisanen ums Leben gekommen. Tags darauf soll der Vergeltungsschlag gegen Mitglieder der Zivilbevölkerung gefallen sein. In dem gesprengten Haus überlebte nur ein Jugendlicher. Der heute 90-Jährige soll am 7. Oktober voraussichtlich mittels Videoschaltung gehört werden.

Er bestreitet nach den Worten des Verteidigers jede Kenntnis von dem "Vorfall". Er sei gar nicht am Tatort gewesen, sondern habe im fraglichen Zeitraum die Instandsetzung einer gesprengten Brücke geleitet. Dieser Befehl habe "oberste Priorität" gehabt, seine Missachtung wäre "streng bestraft worden". Die Staatsanwaltschaft könne keinen Augen- oder Ohrenzeugen für die Anwesenheit des Angeklagten bei dem gesprengten Haus und für seinen Befehl zu dem Massaker benennen, rügte der Anwalt. Im Übrigen bezweifle er die Verhandlungsfähigkeit des Greises und behalte sich einen Antrag auf Einstellung des Verfahrens vor, hieß es.

Verteidiger fordert Oberst als Sachverständigen
Mitverteidiger Rainer Thesen, ein Oberst der Reserve, hat die Ladung seines früheren Vorgesetzten Oberst a.D. Klaus Hammel als militärhistorischer Gutachter beantragt. Ein Sachverständiger in diesem Prozess müsse "die berufliche Qualifikation eines Generalstabsoffiziers" haben. Hammel habe "kriegsgeschichtliche Forschungsarbeiten" insbesondere über den Kriegsschauplatz Italien veröffentlicht. Der Sachverständige werde darlegen, dass sich zur Tatzeit am Tatort Truppen des gestürzten Diktators Benito Mussolini befunden hätten, die möglicherweise für das Massaker verantwortlich seien. Der Prozess wird am 29. September fortgesetzt.

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