Drama & Roadmovie

“Julia” zwischen Wodka, Wahnsinn & Wüstensonne

Kino
18.06.2008 14:19
Sie hat etwas von einem androgynen Kunstwesen, dem jungen David Bowie gleich - das Gesicht eine bleiche Projektionsfläche, die Wimpern mondhell, die Augenbrauen kaum wahrnehmbar, wären da nicht die flaschengrünen Augen. Katherine Matilda Swinton verströmt den Purismus einer jungfräulichen Leinwand, die nur darauf wartet, Farbe zu bekennen - und sie entstammt altem schottischem Adel, der sich bis ins 9. Jahrhundert zurückverfolgen lässt. In ihrem neuen Film „Julia“ ist für Tilda Swinton Kidnapping der letzte Ausweg. Das Drama ein fulminantes Roadmovie und unangepasstes Frauenporträt. Eine schauspielerische Tour de Force der Oscar-Preisträgerin zwischen Wodka, Wahnsinn und Wüstensonne.

Wäre Tilda Swinton ein Bub geworden, wäre ihr mit Sicherheit eine militärische Laufbahn beschieden gewesen. Das hat Tradition in ihrem hochwohlgeborenen Clan. Sie war auf demselben Internat wie Lady Di und ließ sich doch nicht verbiegen, studierte in Cambridge Soziologie und lebte eine Zeit lang nicht schlecht von gut platzierten Pferdewetten. Als frostige Eishexe in der Fantasy-Fabel "Die Chroniken von Narnia" brannte sie sich in unser Gedächtnis, ganz klirrend kalte Raureifgestalt, außerirdisch schön und unnahbar, um sich in "Michael Clayton", an der Seite von George Clooney als gnadenlos Getriebene, als Karrieremonster zwischen Skrupellosigkeit und hündischer Verzweiflung, Stück für Stück selbst zu demontieren. Dafür erhielt Tilda Swinton den Oscar!

Schlampe, Wrack und notorische Lügnerin
Ein herzzerreißendes Frauenporträt, in dem sie mit Verve gegen alle Gesetze schmeichelnder Weiblichkeit verstößt, liefert sie einmal mehr in dem Drama "Julia", Regie: Erick Zonca, als alkoholabhängige Kidnapperin, die zärtliche Muttergefühle für ihr Entführungsopfer, einen kleinen Buben, entwickelt. Julia - Tilda Swinton - ist Schlampe, Wrack und notorische Lügnerin, ein gefallener Engel auf dem direkten Weg in die Hölle der Trunksucht - und die Nacht ist ihr Revier! Wenn sie im Morgengrauen angeekelt unter irgendeinem Kerl aufwacht, der nichts als Geilheit und den Rücksitz seines Wagens zu bieten hatte - eine Frau, ausgespieen vom letzten Rest der Dunkelheit, vermeint man ihren Promilledusel fast körperlich zu spüren. Eine atemberaubende Tour de Force der Oscar-Preisträgerin, die in diesem Genremix aus Gangsterhatz, Tragödie und Psychogramm durch ihre verstörende und zugleich superbe One-Woman-Show besticht. Dass das schockierende Bildnis einer Trinkerin, die sich zur Löwenmutter wandelt für ein Kind, das nicht das ihre ist, ohne gut eingeschenkte Moral auskommt, ist nicht zuletzt der eigenwilligen Schauspielerin zu verdanken, die "immer nur darstellen, aber nie richten will."

Tilda Swinton - Frau mit zwei Männern
Weit weniger blass als ihr aristokratisches Antlitz ist Tilda Swintons Privatleben, das die 47-jährige Mutter von zehnjährigen Zwillingen, Honor und Xavier, zwischen einem reifen Lebengefährten in Schottland, dem rund 20 Jahre älteren Dramatiker John Byrne, und dem 30-jährigen Sandro Kopp, ansehnliche Blickoase und Sweetheart mit Walker-Qualitäten und Heidelberger Kindheit, souverän austariert. Ihr dezentes Motto: just never explain. Die "außergewöhnliche Tatsache, dass eine Frau, die auf die Lebensmitte zusteuert, das Filmbiz und die Traumfabrik durchaus adelt, sagt etwas über Hollywood aus", findet Tilda Swinton. Ein Oscar macht gelassen. Zur großen Academy-Award-Gala war sie in einem schwarzen Sackkleid erschienen, dessen Anblick so manchen Styling-Experten hyperventilieren ließ. Wieder einmal bewies Tilda Swinton als "Garbo des Understatements" Purismus pur, auch in der Kleiderfrage. Einziger Farbtupfer: das feuerrote Haar, das ihr den Spitznamen "Zündholz" einbrachte - Zeichen flammender Passion.

Nein, sie ist niemand, der sich verkleidet: What you see is what you get - was du siehst, das kriegst du auch. Und überhaupt hat Schauspielerei für Tilda Swinton herzlich wenig mit Verkleidung, ja Kostümierung zu tun, sondern vielmehr mit dem Sich-Ausliefern. Und wenn sie spielt, dann wirklich nackt bis aufs Herz.

Von Christina Krisch, Kronen Zeitung

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