Schuften erlaubt

EU-Staaten legen Streit um Arbeitszeiten bei

Ausland
10.06.2008 15:12
Die EU-Staaten haben ihren jahrelangen Streit um Höchstarbeitszeiten und die Gleichstellung von Zeitarbeitern beigelegt. Die Arbeitsminister der 27 Mitgliedstaaten einigten sich in der Nacht zum Dienstag in Luxemburg nach langwierigen Beratungen auf gemeinsame Regeln, die unter bestimmten Bedingungen eine Erhöhung der Wochenarbeitszeit von derzeit 48 auf bis zu 65 Wochenstunden ermöglichen. Die Pläne könnten nun nur noch auf Widerstand aus dem Europäischen Parlament stoßen, das die Richtlinien verabschieden muss. Während ÖGB-Präsident Rudolf Hundstorfer von einem "verheerenden Signal für das soziale Europa" spricht, begrüßt Minister Martin Bartenstein die neue Regelung.

Die Arbeitszeit-Richtlinie soll Abweichungen von der Regel, wonach die wöchentliche Höchstarbeitszeit in der EU bei 48 Stunden liegt, besser bestimmen - und ermöglichen. Arbeitnehmer in Europa sollen jetzt die Möglichkeit haben, nach genau festgelegten Bestimmungen bis zu 60 oder sogar 65 Stunden (ohne Überstunden) zu arbeiten.

Großbritannien war wegen einer Ausnahmeregel nicht an die bisherige EU-Regelung für die Höchstarbeitszeit gebunden. Laut dem für Beschäftigung zuständigen britischen Staatssekretär Pat McFadden bringen die flexiblen Arbeitszeiten den Unternehmen in seinem Land jährlich hohe Zusatzeinnahmen und schaffen zusätzliche Arbeitsplätze. In Großbritannien gibt es etwa im Einzelhandel 24-Stunden-Öffnungszeiten. Ob es bei der neuen Einigung wieder Ausnahmen gibt, ist nicht bekannt geworden.

Franzosen keine Fans der Richtlinie
Frankreichs Arbeitsminister Xavier Bertrand (in seinem Land gilt die 35-Stunden-Woche) hatte vor der Einigung in Luxemburg gesagt, sein Land habe nicht vor, soziale Sicherheiten aufzugeben. Nach Angaben des deutschen Arbeitsministers Olaf Scholz wird sich in Deutschland durch das neue Regelwerk voraussichtlich nicht viel ändern. In Österreich verhält es sich ähnlich, zumal hierzulande die 40-Stunden-Woche laut jüngsten Erhebungen (siehe Infobox) für über 800.000 Arbeitnehmer ohnehin eine Zahl auf Papier ist. Die geleisteten Überstunden ergeben hochgerechnet 190.000 Jobs. 

Zum Thema Arbeitszeiten vereinbarten die Minister, dass Phasen "inaktiver Aufsicht" künftig nicht mehr als Arbeitszeit geltend gemacht werden können. Damit werden auch 90-Stunden-Wochen bei Ärzten mit Bereitsschaftsdienst aus der Grauzone gehievt. Zwei europäische Gerichtsentscheidungen besagten bisher, dass Aufsichtszeiten als Teil der Arbeitszeit zu gelten haben. Die meisten europäischen Staaten verstoßen allerdings gegen diese Festlegung, vor allem im medizinischen Bereich.

Zeitarbeiter festangestellten Kollegen gleichgestellt
Für Zeitarbeiter vereinbarten die EU-Minister, dass diese ab dem ersten Arbeitstag ihren festangestellten Kollegen gleichgestellt werden müssen. Auf nationaler Ebene können sich die Sozialpartner allerdings auf Übergangsfristen einigen. Nur Spanien, Belgien, Griechenland, Ungarn und Zypern kritisierten die Vorschläge zur Erhöhung der Arbeitszeit scharf und forderten das EU-Parlament auf, sich gegen die neue Richtlinie zu stellen.

ÖGB-Präsident: "Verheerendes Signal"
Keine Freude mit der neuen Regelung hat ÖGB-Präsident Rudolf Hundstorfer. Er spricht wörtlich von einem "verheerenden Signal für das soziale Europa". Mit der Einigung seien die EU-Arbeitsminister weit über das Ziel hinausgeschossen zum Nachteil der  Arbeitnehmer in Europa, so Hundstorfer.

Unter Flexicurity stelle sich die Gewerkschaft etwas anderes vor, als ausschließlich Flexibilisieren ohne Sicherungen einzuführen. Er setzte nun auf das EU-Parlament. "Die Abgeordneten werden sich hoffentlich nicht dem faulen Kompromiss der Mitgliedstaaten beugen, sondern ein deutliches Zeichen für ihre politische Eigenständigkeit setzen.

Häupl: "Eklatanter sozialer Rückschritt"
Für den Wiener Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) stellt die Einigung in Sachen Arbeitszeit-Richtlinie einen "eklatanten sozialen Rückschritt" dar. Es habe sich dabei um "keine Glanzstunde" der EU gehandelt, meinte Häupl am Dienstag in der Bürgermeister-Pressekonferenz.

"Die Auswirkungen unmittelbar auf Wien werden wir uns im Detail anschauen", kündigte er an. Er versicherte jedoch, dass es keine Auswirkungen auf die Feuerwehr oder die Ärzte in den Wiener Spitälern geben werde. "Wir werden die Organisationsstruktur der Wiener Feuerwehr mit Sicherheit nicht ändern, auch wenn wir deswegen vor den europäischen Gerichtshof müssen", erklärte Häupl: "Das wird nicht stattfinden."

Minister Bartenstein lobt Kompromiss
Wirtschafts- und Arbeitsminister Martin Bartenstein lobte den Kompromiss zu den EU-Arbeitszeitregeln und zu Leiharbeit, den er und seine Ressortkollegen in den frühen Morgenstunden - im siebenten Anlauf - erzielt haben. Das sei "ein ganz wichtiges Signal für die Handlungsfähigkeit Europas, 48 Stunden vor dem irischen Referendum" und "ein Schritt hin zu einem sozialen Europa, ohne dass der Wettbewerb beeinträchtigt wird", sagte Bartenstein. In Österreich bringe die neue EU-Regelung keine Änderung.

Für Österreich ändert sich "nichts"
Für Österreich ändere sich durch die Novelle der EU-Arbeitszeitrichtlinie "nichts". "Außer, dass mein Schlaf ruhiger sein wird, weil wir in Sachen Arbeitszeit in den Spitälern nicht mehr gegen EU-Recht verstoßen", sagte Bartenstein.

Loading...
00:00 / 00:00
play_arrow
close
expand_more
Loading...
replay_10
skip_previous
play_arrow
skip_next
forward_10
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
explore
Neue "Stories" entdecken
Beta
Loading
Kommentare

Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.

Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.

Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.

Kostenlose Spiele