Gesundheitsreform

Ärztekammer lehnt Regierungsentwurf ab

Österreich
05.06.2008 12:56
Die Ärztekammer ist "schwer enttäuscht" über den Koalitionsentwurf zur Gesundheitsreform: Ärztekammer-Präsident Walter Dorner sprach am Donnerstag in einer Aussendung von einer "sehr kritischen" Situation. Am Samstag werde bei einer außerordentlichen Vollversammlung der Ärztekammer über die weiteren Maßnahmen entschieden.

So stünden ja "drastische Maßnahmen" während der Euro zur Diskussion, drohte Dorner. Damit dürfte auch über einen möglichen Streik der Ärzte mit Ordinationsschließungen vom 16. Juni an für drei Tage entschieden werden.

Offensichtlich sei sich die Regierung der "Dramatik ihrer Entscheidung nicht bewusst". Dorner sieht im vorliegendem Entwurf die "Festschreibung der Absicht, das bewährte österreichische Gesundheitssystem nachhaltig zum Schlechten zu verändern". Im Speziellen seien dies die politische Vorgabe von Behandlungsinhalten und die Überwachung der ärztlichen Praxen durch staatliche Behörden.

"Gesundheitsversorgung durch Paket massiv geschwächt"
Auch die von der Ärzteschaft geforderte Schlichtungskommission für den Fall, dass es keinen gültigen Gesamtvertrag gebe, habe reinen "Scheincharakter", da die Krankenkassen sehr wohl Direktverträge mit den Ärzten schließen könnten. "Es ist klar, dass die Gesundheitsversorgung durch niedergelassene Ärzte durch dieses Paket massiv geschwächt wird", empört sich Dorner. Die Kassenärzte würden einem "massiven Rationierungsdruck ausgesetzt". Denn nach jeweils fünf Jahren werde offenbar nur mehr der Kassenvertrag jenes Arztes verlängert, "der sich brav an die Rationierungsvorgaben gehalten" habe.

"Es ist genug Geld da, nur nicht für die Ärzte"
Auch der Hausärzteverband spart nicht mit harten Worten. Es gebe keinen Geldmangel der Gesundheitspolitik, "es ist genug Geld da, nur nicht für die Ärzte", erregt sich der Sekretär des Hausärzteverbands, Wolfgang Werner. Das bewährte Gesundheitssystem solle zerstört werden, damit "das Geld von der Medizin in die Wirtschaft umgeleitet werden kann". Besonders empört sich Werner darüber, dass die "angeblich zahlungsunfähige Wiener Gebietskrankenkassen ihren Angestellten eine Gehaltserhöhung von mehr als drei Prozent" gewähren könne, und gleichzeitig werde die niedergelassene Ärzteschaft "finanziell ausgehungert".  "Die Ärzte sind nicht zu teuer - im Gegenteil, sie bekommen geradezu ehrenrührige Honorare". Auch die Medikamente seien nicht zu teuer, wettert Werner.

Selbst ÖVP-Gesundheitssprecher skeptisch
Skeptisch zeigt sich auch ÖVP-Gesundheitssprecher Erwin Rasinger über die Einigung der Regierungsparteien zur Gesundheitsreform. Er hoffe, dass in den parlamentarischen Beratungen noch "etwas Vernünftiges" erreicht wird. "Vor allem möchte ich den Ärzten das Gefühl nehmen, Sündenböcke" zu sein, so Rasinger im Radio-Mittagsjournal des ORF. Es gehe um ein "schlankes unbürokratisches System, das Ärzte nicht quält oder nicht so agiert, dass Ärzte sich gequält fühlen", so Rasinger.

Grüner Öllinger: "Murks mit Ablaufdatum"
Als "Murks mit Ablaufdatum" bezeichnete der Grüne Sozialsprecher Karl Öllinger die Einigung der Koalitionsparteien zur Gesundheitsreform. Die "de facto-Abschaffung der Selbstverwaltung" über weitreichende und direkte Eingriffsmöglichkeiten der Politik werde ergänzt durch eine Erhöhung der stimmberechtigten Mitglieder des zukünftigen Verwaltungsrates um 50 Prozent von derzeit zwölf auf 18. Dieser Verwaltungsrat sei damit schon allein auf Grund seiner Größe arbeitsunfähig. Außerdem hätten die Stimmen der 300.000 Selbstständigen dasselbe Gewicht wie 3,3 Millionen unselbstständig Erwerbstätige. Postenfragen und Machtspielchen stünden im Vordergrund.

Schiedsstelle für Ärzte sollte Wogen glätten
Die Regierung hat sich am Mittwoch auf ein Konzept zur Gesundheitsreform geeinigt (siehe Infobox). Sowohl den gegen die Pläne sturmlaufenden Ärzten als auch kritischen Gewerkschaftern sind SPÖ und ÖVP dabei ein wenig entgegengekommen. Die Ärzte sollen unter anderem durch die Einrichtung einer Schiedsstelle besänftigt werden, die beim Scheitern der Vertragsverhandlungen zwischen Ärztekammern und Krankenkassen zum Einsatz kommt. Darin vertreten sein sollen entgegen der ersten Ankündigungen von Gesundheitsministerin Andrea Kdolsky (ÖVP) sowohl ein Vertreter der Ärztekammer als auch der Sozialversicherung. Die Mehrheit soll aber ein dreiköpfiger Senat bestehend aus Richtern des Obersten Gerichtshofes haben. Ebenfalls strittig war bisher der Plan, die Verträge der Ärzte auf fünf Jahre zu befristen und danach zu "rezertifizieren". Hier wird nun der Begriff der Rezertifizierung durch eine Evaluierung der Qualität ersetzt.

Ebenfalls geplant: Wenn die Sozialversicherungszentrale den Krankenkassen Richtlinien vorgibt, soll ihre Interessensvertretung in der Sozialversicherung, die sogenannte Spartenkonferenz, dagegen ein Einspruchsrecht haben. Dieses Veto hat allerdings nur aufschiebende Wirkung, ein Beharrungsbeschluss der Sozialversicherungsholding ist möglich.

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